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Bericht zur Erkundung in der Pfarrei der Zukunft Merzig

Was uns bewusst geworden ist...

Der Erkundungsprozess hat auch bei uns als Erkundungsteam „Spuren hinterlassen“ – und das ist gut so! Unter den vielen Dingen, die jedem von uns bewusst oder wichtig geworden sind, haben wir hier – exemplarisch –
je eines herausgegriffen.

 „Immer mehr habe ich verstanden, dass es bei der Erkundung als erstes darum geht, dass ich bereit bin, mich berühren und verändern zu lassen: Meinen Horizont, meine Sichtweisen, mein Urteil über Menschen. Das geschah immer dann, wenn ich mich auf (neue) Begegnungen eingelassen habe. Und dazu musste ich selbst rausgehen, Ausflüge ins Unbekannte machen. Ein bisschen Herzklopfen gehörte immer dazu. „Man kann sich bei der Erkundung nicht vertreten lassen,“ wie eine Mit-Erkunderin es formulierte.“

Thomas Ascher  

 „Auf die Begegnung kommt es an! Möchte ich vom einzelnen Menschen her denken – so wie die Bistumssynode es gesagt und grundgelegt hat – so muss ich wissen, womit dieser Mensch befasst ist, was ihn in seinem Leben umtreibt. Um das zu erfahren, muss ich zuerst einmal Kontakt zu der mir fremden Person aufnehmen. Das ist nicht leicht! Es erfordert Mühe und Mut, das sichere Setting, meine Ansichten und Gepflogenheiten beiseite zu schieben und mich einer fremden Person und ihrer Situation auszusetzen – Ausgang ungewiss! Miterkunderinnen und Miterkunder berichten von offenen Türen, gesprächsbereiten Menschen und sogar von echter Dankbarkeit für ihr Interesse und ihre Zeit. Für sie hat sich der Mut gelohnt! Ich wünsche mir, dass noch viel mehr Menschen das „Experiment Erkundung“ wagen.“

Andreas Esch 

„Ich bin als Interessierte gestartet und als Veränderte zurückgekehrt“, dieses Zitat, das ich neulich in einem Reisebericht gelesen habe, hat mich direkt an unsere Erkundung erinnert. Viele Erkunder haben das so beschrieben und auch ich persönlich habe das so erfahren: Viele Eindrücke, nette Begegnungen, neue Welten….man merkt auf einmal, wie eng doch oft die eigene Sichtweise ist. Es macht Spaß, weil es den Horizont erweitert und neue Ideen zulässt.“

Sabine Lord

Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse und Wahrnehmungen

Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen

Leben im Alter – ein Thema mit vielen Facetten

  • Eine Landkarte der Themen

    Den Einstieg in die Erkundung machte die Miterkunder- Gruppe damit, eine „Mindmap“ zum Thema „Senioren“ zusammenzustellen: Welche Themenaspekte fallen uns dazu ein, zu welchen größeren Themenbereichen gruppieren sie sich? [ABSCHRIFT DER MINDMAP IN: ALTER 1] Alleine die Vielfalt der großen Themenbereiche und der Einzelaspekte sichtbar zu machen, weitete den Horizont. Schon hier wurde z.B. die Unterscheidung zwischen alten Menschen mit nachlassenden Kräften und Möglichkeiten einerseits und den „fitten Alten“ andererseits deutlich. Gleichzeitig wurde klar, dass wir uns zunächst auf einige Themen fokussieren mussten. Am meisten interessierte sich die Gruppe für die Aspekte „Altersarmut“, „Vitale Best-Ager“ und „Frage nach Lebenssinn und Spiritualität im Alter“.

  • Armut und Einsamkeit im Alter

    Wenn wir über „Leben im Alter“ sprachen, haben unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner (Leiterin Caritasverband, Ehrenamtlicher in Orscholz, Mitarbeiter des Sozialamtes) immer auch das Thema „Altersarmut“ angesprochen. Altersarmut heißt ganz einfach: Die Rente reicht nicht für den Lebensunterhalt. Und die Experten wiesen darauf hin: Alterarmut versteckt sich – oder wird z.T. einfach nicht wahrgenommen. Betroffenen stehen zwar durchaus Grundsicherungsleistungen zu, aber Scham oder Unwissenheit führen dazu, dass sie diese oft nicht in Anspruch nehmen – oder aber die eigenen Wertvorstellungen verbieten, der Allgemeinheit zur Last zu fallen. Altersarmut sei ein wichtigeres Thema als früher, weil die Renten mehrfach abgesenkt wurden und darüber hinaus zunehmend mit Sozialbeiträgen belastet würden, andererseits aber die Preise für Wohnraum und Lebenshaltung gestiegen sind. Vor allem Frauen sind davon betroffen [ ALTER 2, 3].

    Zu geringes Einkommen ist häufig auch einer der Gründe für Einsamkeit im Alter. Denn Geldmangel verhindert soziale Teilhabe, z.B. Bus- oder Taxifahrten, den Besuch von Cafés oder kulturellen Veranstaltungen. Viele weitere Faktoren begünstigen ebenfalls die Einsamkeit im Alter: Durch das Ausscheiden aus dem Beruf und den Wegzug der Kinder, die dann ihre eigene Familie gründen, brechen Kontakte weg. Wenn dann auch noch der Partner stirbt, ändert sich der Alltag meist tiefgreifend: der vertraute Mensch hinterlässt eine große Lücke, Austausch und gemeinsame Unternehmungen fallen weg. Solche Verlusterfahrungen lösen oft auch depressive Episoden aus, die mit einem weiteren Rückzug verbunden sind. Weitere Gründe sind abnehmende Mobilität durch Aufgabe des eigenen Autos, körperliche Einschränkungen wie schlechtes Hören oder Sehen oder Schwierigkeiten beim Gehen [ ALTER 2, MITERKUNDER-GRUPPE 4].

  • Ich habe viel zu erzählen – hör mir zu…

    Wenn jemand wirklich zuhört, erzählen alte Menschen gerne und viel aus ihrem Leben, auch sehr persönliche Themen. Erkunderinnen und Erkunder haben das – zu ihrer eigenen Überraschung – z.B. bei den Gesprächen im Seniorencafé erlebt. „Endlich haben wir heute nichts geschwätzt, sondern über was Wesentliches gesprochen“, sagt eine alte Dame nach dem Gespräch. Schicksalsschläge und Notsituationen kamen zur Sprache, aber auch der Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe in der Familie. Zeit, Aufmerksamkeit und Anteilnahme reichten aus, dass sie sich den Erkunderinnen und Erkundern öffneten. Hier wird unserer Meinung nach das Bedürfnis der alten Menschen spürbar, gesehen und wahrgenommen zu werden [ ALTER 8].

  • Grundbedürfnis nach Kontakt und Gesellschaft

    Anhand unserer Fragen erzählten die Frauen im Alter von 80 bis 99 Jahren z.B. über ihre jetzige Lebenssituation, ihre größte Freude oder woraus sie Kraft schöpfen. Dabei fiel uns auf: Am meisten freuten sie sich darauf, in Gesellschaft zu sein: auf das wöchentliche Frühstück mit Geschwistern, auf die Gespräche und Kontakte beim „Urlaub“ im Altenheim und anderes. Und natürlich auf das gemeinsame Treffen im Seniorencafé, auf den Austausch, auf das Singen, auf die Unterhaltungen mit anderen. Hier wurde für uns ein Wunsch nach Gemeinschaft und Kontakt sehr deutlich – die Möglichkeiten dazu sind gerade in der Lebenssituation der alten Menschen mit zunehmenden Einschränkungen immer seltener.

  • Unterschiedliche Lebenslagen im Alter

    Bei unseren Gesprächen mit älteren Menschen fiel ein Unterschied zwischen verschiedenen Lebenssituationen deutlich ins Auge, der in der Literatur als der Übergang von der „dritten in die vierte Lebensphase“ beschrieben wird: Die eine Gruppe, die wir im Seniorencafé im Mehrgenerationenhaus getroffen haben, kann man mit Schlagworten wie „eingeschränkte Gesundheit, zunehmender Verlust der Selbstständigkeit, Rückgang der Aktivität“ recht treffend beschreiben – oder, wie es in einem Artikel heißt: „gebrechlich, isoliert, auf Hilfe angewiesen“ [ ALTER 10]. Auf die Mitglieder des Seniorenbeirats der Stadt Merzig dagegen treffen eher die Begriffe „persönliches Wohlbefinden, Aktivität, Gesundheit, Mobilität, Pläne“ zu. Wer zu dieser Gruppe gehört, wird auch „Best-Ager“ genannt.

  • Best-Ager im Blick

    Im Gespräch mit dem Seniorenbeirat wurde klar: Ihre Zielgruppe sind die „Best Ager“, auch die Mitglieder selbst kann man dieser Gruppe zurechnen (außer die Vertreter von Institutionen). Hier geht es um Themen wie Computer- oder Rechtsberatung für Senioren und Senioren-Fitness-Tage [ ALTER 4]. Unser Eindruck: Der Beirat ist eine Stimme in der Politik für die „sichtbaren“ Senioren. Themen wie Pflegenotstand oder Altersarmut spielen hier keine Rolle.

  • „Von Kirche im Stich gelassen“ – wobei eigentlich?

    Auf das Stichwort „Kirche“ reagierten manche Mitglieder des Beirates kritisch bis angriffslustig: Die Kirche mache nix, die Älteren fühlten sich von der Kirche im Stich gelassen, persönliche Gespräche mit Geistlichen seien nicht möglich, zur Hauskommunion kommen „nur“ Gemeindereferentinnen. Von der Kirche wünschte man sich zunächst Geld für Projekte… Hinter diesen Vorwürfen und Angriff en wurden erst nach und nach die Anliegen sichtbar. Zum Beispiel, dass man gute Gesprächspartner für existentielle Lebensthemen braucht: „Wie kann man mit dem Altern umgehen, wie verändert sich da der Sinn im Leben?“ Oder auch: Glaube ist schon vorhanden, aber mit der Institution Kirche will man wenig zu tun haben – wo also kann man sprechen über spirituelle Themen wie Leben und Tod, Verantwortung und Versagen? Hier mit dem Beirat in ein konstruktives Gespräch einzutreten – in einer entspannteren Atmosphäre – wäre sicher lohnend. 

Was bewegt Jugendliche?

Die Lebenslagen von Jugendlichen sind sehr unterschiedlich, verallgemeinernde Aussagen sind darum schwierig. Genau das sind ja auch die Grundaussagen der aktuellen Jugendstudien. Durch die Erkundungsbegegnungen – die immer exemplarisch waren – sind uns aber einige Aspekte in den Blick geraten, die dennoch in ähnlicher Weise bei unterschiedlichen Jugendlichen zu finden sind. Selbstwirksamkeit: Herausforderungen meistern Zugehörigkeit und Geborgenheit Erfahrung von Schicksalsschlägen Gemeinschaft mit Gleichaltrigen „Abhängen“ und Engagement

  • Selbstwirksamkeit: Herausforderungen meistern

    Auf die Frage „Was waren deine besten Momente im letzten Jahr?“ nannten die Jugendlichen der Jugendfeuerwehr Dinge wie im Urlaub das Tauchen im Meer („bis zum Boden!“), das Erreichen der „Leistungsspange“ der Feuerwehr, selbst „tolle Fische“ gefangen zu haben oder den Führerschein zu machen [ JUGEND 1]. In solchen Situationen erfahren die Jugendlichen, dass sie Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen können – und das macht sie zu den „besten Momenten“. Die Psychologie nennt dies „Selbstwirksamkeit“. Auch dass die jungen Feuerwehrleute lernen, die Geräte zu bedienen und das Bewusstsein, damit anderen helfen zu können, gehört zu solchen Erfahrungen. In Gesprächen mit anderen Jugendlichen wird diese Wahrnehmung bestätigt. Das Freiwillige soziale Jahr (FSJ) beim Rettungsdienst als „bester Moment“ ist dafür ein gutes Beispiel. Außerdem sind es vor allem erfolgreiche Abschlüsse von Schule und Studium oder die begonnene Ausbildung im „Wunschberuf“, die genannt werden [ ANLAGE JUGEND 2, 3].

  • Zugehörigkeit und Geborgenheit

    Fragt man Jugendliche, was sie sich für die Zukunft wünschen und was sie glücklich macht, so zeigt sich, dass die meisten ganz bodenständige Vorstellungen haben: Familie wird so gut wie immer als erstes genannt, dann Freunde, ein guter Schulabschluss, ebenso ein guter Beruf [ ANLAGE JUGEND 1, 2].

    Hier nehmen wir „Zugehörigkeit“ und „Nähe“ als Themen im Hintergrund wahr. Dazu passt auch etwas, was uns bei den Jüngeren (Jugendfeuerwehr) aufgefallen ist: die wichtige Rolle ihrer Haustiere für das Glücklich-Sein: Viele schöne und auch manche schlimme Momente hängen sehr eng mit den Tieren zusammen, sie werden sogar oft unter den „wichtigsten Dingen im Leben“ genannt. Zu den Tieren wird eine tiefe emotionale Bindung aufgebaut, die den jüngeren Jugendlichen Nähe und Geborgenheit vermittelt. Bei den älteren Jugendlichen (Jugendchor) mischen sich deutlich politische Töne mit in die Themen, die ihnen wichtig sind und ihnen Sorge machen: z.B. die gesellschaftliche Entwicklung, bei der „der Kitt fehlt“, oder der Klimawandel.

  • Erfahrung von Schicksalsschlägen

    Elementare Lebensereignisse wie Arbeitsverlust des Vaters, Krankheiten oder gar Tod haben einen unmittelbaren Einfluss auf das Wohlbefinden der Jugendlichen. Auch eigenes Scheitern mit der Folge, „nicht zu wissen, wie es weiter geht“, z.B. bei den Jugendlichen im Stadtpark, gehören zu solchen belastenden Dingen [ JUGEND 3 ].

    Diese Antworten auf die Frage nach den „schlimmsten Momenten“ sind erwartbar – bemerkenswert ist aber unser Eindruck, dass Jugendliche diese Themen sehr selten zur Sprache bringen, dass sie kaum danach gefragt werden. Die Frage ist, wo sie mit solchen Erlebnissen „hin können“, was ihnen hilft sie zu verarbeiten – und ob sie eine solche Hilfe überhaupt brauchen.

  • Gemeinschaft mit Gleichaltrigen

    Das Beste an der Jugendfeuerwehr ist nach Aussage der Jugendlichen das Zusammensein, die Gemeinschaft und der Spaß, den man zusammen hat. Genauso ist es bei den Mitgliedern des Jugendchors: Auf die Frage „Was macht euch glücklich?“ nennen sie den Chor, die Gemeinschaft und gemeinsame Freizeiten. Dieses Ergebnis ist natürlich keine Überraschung.

    Es macht aber deutlich, wie positiv und wichtig für die Jugendlichen das Erleben einer Gemeinschaft mit Gleichaltrigen ist – auch in Zeiten, in denen die Online-Welt eine starke Konkurrenz ist, die es erschwert, Jugendliche verbindlich in Gruppen zu binden.

  • „Abhängen“ und Engagement

    In der konkreten Alltagsgestaltung von Jugendlichen gibt es nach dem, was wir gehört haben, zwei Tendenzen: Zum einen engagieren sich Jugendliche in Vereinen, hier in der Jugendfeuerwehr und dem Jugendchor. Sie finden dort Selbstbestätigung und Gemeinschaft. Die andere Seite ist: Jugendliche möchten in der Freizeit am liebsten „abhängen“. Sie möchten in Ruhe gelassen werden; freie Zeit macht sie froh. Diese Seite wird in dem Gespräch mit den beiden jungen Männern im Stadtpark sehr deutlich [ JUGEND 3].

    Es entsteht der Eindruck, dass bei diesen beiden das „Abhängen“ im Vordergrund steht, die Ausbildung scheint ihnen dagegen eher Stress zu bereiten. Wir vermuten allerdings, dass es bei vielen Jugendlichen beide Tendenzen gleichzeitig gibt: Zeiten und Orte des Engagements einerseits und des Abhängens andererseits. Über diese Frage ließen sich sehr interessante Gespräche mit weiteren Jugendlichen führen. 

Der Blick auf die Karte: den Raum der Pfarrei der Zukunft unter sozialen Aspekten wahrnehmen

Schwarm-Intelligenz

Überaus anregend war für die Miterkunder-Gruppe die Arbeit mit der großen Landkarte der Pfarrei der Zukunft Merzig. (Die gleiche Erfahrung machten wir auch in der Gruppe eines anderen Erkundungsprozesses.) Zu den abgefragten Aspekten „Räumlich-geographische Wahrnehmungen“, „Nutzungen“ und „Soziale Raumwahrnehmungen“ [ZUR METHODE ANLAGE RÄUME 1] konnte jeder der Erkunder sein Wissen und seine persönlichen Wahrnehmungen beitragen, sie im lebendigen Gespräch mit den anderen kommentieren und ergänzen lassen und auf der Landkarte visualisieren.

Subjektive, selektive Wahrnehmungen? Ja, aber blinde Flecken oder Verzerrungen wurden durch die „Schwarm-Intelligenz“ vermindert, und der Erkenntnisgewinn war eine Weitung der Sicht und die Bewusstwerdung von Strukturen innerhalb des gesamten Raumes der Pfarrei der Zukunft Merzig [ GRUPPE 7]. Im Nachgang haben wir die Wahrnehmung dann durch die Auswertung einiger Internet-Quellen zur Raumplanung verifiziert und erweitert.

(Für die folgenden Abschnitte beziehen wir uns außer auf die Wahrnehmungen der Miterkunder-Gruppe noch auf die im Anhang Räume 2 genannten Internet-Quellen) 

  • Grenzlinie mitten in der Pfarrei der Zukunft

    Zwar schon vorher „irgendwie gewusst“, aber nun deutlich im Bewusstsein: Zwischen dem „Mosel-Raum“ mit dem Zentrum Perl und dem „Saar-Raum“ mit den Zentren Merzig und Mettlach besteht eine räumlich wahrnehmbare „Grenzlinie“, genauso aber auch eine „Entfernung“ in den Köpfen der Menschen. Die Moselaner haben einen „Zug“ (in übertragenen wie im wörtlichen Sinne) eher nach Trier und Luxemburg, aber wenig Richtung Merzig und Saarbrücken. Nach Merzig besteht keine emotionale Verbindung, kein Gefühl der Zugehörigkeit.

    Die Straßen nach Merzig sind klein und kurvenreich – von der Autobahn abgesehen. Die aber hat nach Aussage der Ortsansässigen eher ihre Bedeutung in der Verbindung zwischen Luxemburg und Saarbrücken als zwischen Perl und Merzig. Auch umgekehrt haben die Merziger die Grenzregion hinter den Höhen wenig im Blick. Es ist ja alles da in Merzig und der Umgebung zu finden: Kultur, Schulen, gesundheitliche Versorgung Einkaufen usw. In Richtung Landesgrenze fährt man vor allem zum Tanken, zur Arbeit in Luxemburg und um Wein zu kaufen. Es ist ja alles vor Ort – das war am Anfang sogar für die Miterkunder-Gruppe verführerisch.

    Wir sprachen mit der Caritas, dem Seniorenbeirat, der CEB, dem Seniorencafé, Jugendlichen – alles in Merzig. Unsere späteren Pläne, den Radius auszuweiten (Jugendliche aus Dörfern, Gespräch mit einem Ortsvorsteher…) ließen sich jedoch nicht mehr realisieren. Es liegt auf der Hand, dass diese „Lücke“ ein lohnendes zukünftiges Erkundungsthema wäre. Übrigens war es für diese Wahrnehmung natürlich wichtig, dass Mitglieder der Erkundungsgruppe aus beiden Teilräumen kommen.

  • Teil-Räume: Stadt oder Land, Mosel oder Saar

    Welche „Bereiche“ oder „Zonen“ kann man im Raum der Pfarrei der Zukunft Merzig voneinander unterscheiden, und was macht die Unterschiede aus? Eine der wichtigsten Wahrnehmungen der Miterkunder- Gruppe war, vier Teil-Räume zu identifizieren und ansatzweise zu beschreiben:

    • Mosel und Moselgau
    • Merzig und Umgebung
    • Mettlach und Orscholz
    • Saargau und Bietzer Berg

    Unsere Fragen dabei waren: Wodurch unterscheiden sich die Teil-Räume und welche Auswirkungen haben diese Unterschiede für die Lebenssituation der Menschen? [ RÄUME 5]

  • „Trans-nationale Lebenswelten“ in der Boom-Gemeinde Perl

    Die Besonderheiten der Grenzlage der Gemeinde Perl fallen ins Auge. Eine Studie zur Raumforschung beschreibt, wie (durch die Freizügigkeit der EU-Bürger) in Perl neue Formen lokaler Migration entstanden sind, weil auf der einen Seite eine stark wachsende Region (Luxemburg) und jenseits der Grenze eine ländlich strukturschwache Region (Perl) nebeneinander liegen. Deutsche pendeln nach Luxemburg, um dort zu arbeiten und Luxemburger wandern ins Nachbarland, um dort zu wohnen; eingekauft wird indes auf beiden Seiten gleichermaßen. Die Studie nennt dies „trans-nationale Lebenswelten“, die durch die Kombination zweier sozialer und wirtschaftlicher Systeme entstehen. Die Menschen wählen jeweils einzelne Elemente aus beiden Systemen aus und bauen darauf eigene Lebensstrategien auf. Das betrifft z.B. den Arbeitsmarkt, die Wohnung, die soziale Fürsorge, Schulen, den kulturellen Bereich und die zwischenmenschlichen Kontakte.

    Die Folgen für Perl sind vielfältig:

    In Perl selbst und in den Dörfern oberhalb boomen die Neubaugebiete, weil sich dort viele Luxemburger niederlassen. Die Grundstücks- und Immobilienpreise sind stark gestiegen – die Gemeinde versucht daher, Einheimische bei der Grundstücksvergabe zu bevorzugen. Auch die Einwohnerzahl stieg in der Gemeinde Perl in den letzten 20 Jahren sehr stark an – als einziger Gemeinde bei sonst eher rückläufigen Einwohnerzahlen. Der Anteil der Luxemburger sowie der Anteil ausländischer Bevölkerung insgesamt sind die höchsten im ganzen Saarland.

    Für den Handel in Perl ist das ein Segen: Die Geschäfte boomen, neue Supermärkte sprießen aus dem Boden. Perl versorgt nicht nur die Einheimischen und Neubewohner, sondern auch den Bereich jenseits der Grenze mit Gütern des kurzfristigen Bedarfs, aber auch mit langlebigen Konsumgütern. Die Herausforderung besteht nun weniger darin, das Aussterben der Orte zu verhindern, sondern die historischen Siedlungsstrukturen mit dem Zuwachs in Einklang zu bringen. Der starke Zuwachs an Menschen, Verkehr und Geschäften auf der deutschen Seite führt dort auch zu einer „Stabilisierung“ der Einrichtungen der Daseinsvorsorge (Geschäfte, Ärzte…) und der Infrastruktur (Buslinien etc.).

    Auch eine so ambitionierte Schule wie das Schengen-Lyceum wäre ohne die beschriebene Situation kaum denkbar. Dass eine solch tiefgreifende Veränderung auch zu sozialen Verwerfungen führen kann, ist naheliegend. Die Luxemburger arbeiten und pflegen ihre sozialen Kontakte oft weiterhin jenseits der Grenze. Die entsprechenden Ortsteile werden dadurch zu „Schlaf-Dörfern“. Die Anwesenheit von Luxemburgern zieht weitere Luxemburger an, und die Grundstücke werden vor allem in Luxemburg vermarktet. Dadurch wird die „Segregation“ weiter verstärkt. Das verhindert weitgehend eine Integration in der Gemeinde, die Bewohner nehmen kaum am Ortsleben teil. Allerdings gibt es nach Aussage der Studie auch gut integrierte Luxemburger, die Perl als ihre neue Heimat sehen [ SAARBRÜCKER ZEITUNG, STUDIE VGL. RÄUME 3].

    Wie also die Integration ins Ortsleben tatsächlich aussieht und welche Folgen die beschriebene Situation – neben den augenfälligen Veränderung wie Neubau und Geschäfte – für das Lebensgefühl der Einheimischen wie auch der Neubewohner hat, könnte in weiteren aufschlussreichen Erkundungsgesprächen erfahren werden.

  • Merzig: urban geprägtes Mittelzentrum

    In Merzig ist alles vor Ort: Bildung, Gesundheitseinrichtungen, Einkaufen, Wohnen, Arbeit, Freizeit, Mobilität, Verwaltung. In der Sprache der Raumordnung: Die „Saartalerweiterung bei Merzig“ ist ein urban geprägtes Mittelzentrum und hat eine Bedeutung als Siedlungsschwerpunkt, Schwerpunkt der gewerblichen Wirtschaft, ÖPNV-Drehscheibe. Merzig hat einen Einpendlerüberschuss – als einziger Ort in der Umgebung: Das heißt es fahren mehr Menschen zur Arbeit und Schule nach Merzig als von Merzig in andere Orte. Die Merziger sehen sich in ihrer Region als den Mittelpunkt an, sind folglich daran gewöhnt, vor allem aus ihrer Perspektive zu schauen und zu denken. Die Arbeit der Miterkunder-Gruppe mit der Karte machte aber bewusst: Der Raum der Pfarrei der Zukunft umfasst wesentlich mehr: andere Räume und andere menschliche Lebenswelten. Der Blick muss sich weiten. Die Herausforderung besteht darin, gerade solche Bereiche bewusst anzusehen, die nicht von allein wahrgenommen werden.

  • Abgehängt auf dem Lande?

    Was wir hier über den Saargau und den Bietzer Berg sagen, gilt vermutlich ganz ähnlich auch für die kleinen Dörfer auf der Höhe zwischen Saar- und Moseltal, wie Faha, Oberleuken, Wochern, Eft-Hellendorf. Der Unterschied zum Zentrum Merzig ist eindrucksvoll: Im ländlichen Raum leben nur wenig Menschen („unterdurchschnittliche Siedlungsdichte“). Darum gibt es hier fast keine Arbeitsplätze, auch nicht in der Landwirtschaft.

    Die Bevölkerung hat lange Wege zu Arbeitsplätzen und Bildung, zu Versorgung (Lebensmittelgeschäften, Ärzten, öffentlichen Einrichtungen…) und Verwaltung, und die Infrastruktur ist schlecht (z.B. langsames Internet und lückenhafter Mobilfunk-Empfang). Die Busverbindungen sind miserabel, sodass hier auf jeden Fall ein Auto „gebraucht“ wird. Begrenzungen und Einengungen finden sich in fast jedem Lebensbereich.

    Aber wie fühlen sich die Menschen, die dort leben? Man hat den Eindruck, sie leben gerne dort. (Außer vielleicht die Jugendlichen, die die erwähnten Einschränkungen schlecht kompensieren können.) Vielleicht schaff en die Dörfer nicht nur ein Gefühl von Enge, sondern auch von Nähe und Heimat. Auch hier knüpft sich an die inhaltlichen Wahrnehmungen zum Teil-Raum wieder eine weiterführende Frage nach dem Lebensgefühl der Menschen – und damit ein gutes Thema für weitere Erkundungen.

  • Tourismus

    Das augenfälligste Merkmal der Raumes Mettlach und Orscholz ist seine Bedeutung für den Tourismus. Hier liegen die Hot-Spots, die Menschen von nah und fern anziehen: Die Saarschleife ist das häufigste Fotomotiv des Saarlandes, der Baumwipfelpfad hat sich mit seinem Aussichtsturm zum Besuchermagneten entwickelt (in 3 Jahren ca. 610.000), Outlet-Geschäfte in Mettlach ziehen überregional Einkaufstouristen an, der historischer Ortskern von Mettlach gehört zu den „herausragenden baulichen Ensembles“ der Region, die Kurklinik Orscholz sorgt für Besucher aus ganz Deutschland, Wander- und Fahrrad-Angebote wie Saar-Hunsrück- Steig oder Saar-Radweg mit guter Bahn- Anbindung verwirklichen naturnahen Tourismus.

    Auch hier zeigt sich ein sehr lohnendes Feld der weiteren Erkundung, nämlich Gespräche mit Menschen zu führen, die nur begrenzte Zeit in der Gegend sind: Was bewegt sie, was suchen und brauchen sie, was finden sie hier? Von diesen Menschen her gedacht lässt sich dann auch benennen, was Kirche für sie tun kann. Das bedeutet aber auch, dass es hier einiges an Arbeitsplätzen gibt: Industrie (V&B), Handel, Gastronomie, Klinik, Tourismus. 

Weitere Wahrnehmungen und Erfahrungen

  • Raum zum Erzählen geben

    Aufgefallen ist uns das Thema „Raum zum Erzählen geben“ zunächst in den Gesprächen mit alten Menschen. Die Erfahrung dahinter war: Wenn alte Menschen Gelegenheit und Zeit dazu bekommen, erzählen sie gerne aus ihrem Leben. Wir hatten dabei ein deutliches Gefühl: Das ist wertvoll. Das wurde in den Reflexionen der Erkunder- Gruppe formuliert und später in der „Bilanz“ noch einmal hervorgehoben. Wir haben den Eindruck, dass das Raum-Geben und das Zuhören ein wichtiger Dienst an den Menschen ist – mit therapeutischen und mit seelsorglichen Aspekten. Durch das erzählende Erinnern vergewissert man sich seiner eigenen Identität, seiner Lebensleistung und damit auch seines „Wertes“ – und das in einer Lebensphase, in der es immer weniger Möglichkeiten gibt, das im konkreten Handeln zu erleben.

    Die zugewandte Zuhörerin vermittelt Nähe und darüber hinaus den Respekt vor der Bedeutung des Erzählten. Theologisch gesprochen vermittelt sie damit eine Ahnung von der Zuwendung Gottes: Du bist mir wichtig, ich habe dich in meine Hand geschrieben. Die Reaktionen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner sprachen für sich: Sie öffneten sich, wirkten angeregt und lebendig, zum Teil bedankten sie sich am Ende des Gesprächs. Bestätigt hat sich diese Erfahrung auch bei Gesprächen mit anderen Personengruppen, z.B. Jugendlichen. Wenn die Gesprächssituation stimmte, tat es den Menschen gut, Raum zum Erzählen zu bekommen.

  • Kirchliche Gruppen wahrnehmen und wertschätzen

    Kirchliche Gruppen wollen wahrgenommen und wertgeschätzt werden, ja oft brauchen sie das für ihre Motivation und ihr Selbstverständnis. Das brachten Mitglieder eines Jugendchores sehr deutlich zum Ausdruck. Diese Aussage bezieht sich nicht auf die außerkirchliche Sicht, sondern ausdrücklich auf die Haltung innerkirchlicher Personen und Gruppen: die Mitglieder der Gremien, die Seelsorgerinnen und Seelsorger, allen voran der Pastor [ JUGEND 2].

    Zwar macht ihnen die Musik viel Freude, die erlebte Gemeinschaft tut ihnen gut. Sie brauchen für ihr Engagement aber auch die Gewissheit, dass sie gesehen und sie als wichtiger Teil der Gemeinde betrachtet werden, dass ihr Engagement anerkannt wird. Offensichtlich hat sich hier viel an Frust und Enttäuschung angestaut. Zu diesem Mangel an Anerkennung kommt die Sorge um die Zukunft des Chores und Zweifel daran, dass sie auf eine entschiedene Unterstützung durch die kirchliche Institution zählen können. Sie fühlen sich allein gelassen. Sie betonen, dass die Chöre ein wichtiger Teil des kirchlichen Lebens sind und „unbedingt in der Pfarrei der Zukunft berücksichtigt“ werden müssten. Das erinnert uns an ein Thema, das in einem ganz anderen Zusammenhang und einer anderen Situation angesprochen wurde: Ein ehrenamtlich Engagierter in Orscholz beschrieb, dass im kirchlichen Leben vieles zum Erliegen gekommen ist. Dort, wo es engagierte Ehrenamtliche gibt, ist es lebendig, z.B. bei den Messdienern oder der Frauengemeinschaft, aber die wenigen Ehrenamtlichen seien überlastet. Und es gebe jetzt keinen Pfarrer mehr, auch keinen Gemeinde- oder Pastoralreferenten. Er formuliert ausdrücklich den Wunsch nach stärkerer Unterstützung für bestehende Gruppen [ RÄUME 1].

    Nach unserem Eindruck – auch aus mehreren informellen Gesprächen – bringen diese beiden Beispiele die Bedürfnisse, aber auch die Befürchtungen vieler anderer kirchlichen Gruppen in Bezug auf die Pfarrei der Zukunft auf den Punkt. 

  • Vernetzung und Zusammenarbeit

    Die Gespräche mit alten Menschen lösten in der Miterkunder- Gruppe einige Impulse zum Weiterdenken aus: Es müsse mehr Orte der Begegnung geben, die auf die Situation alter Menschen abgestimmt sind – auch in ländlichen Bereichen wäre das wichtig. Selbst Treffen mit einem bestimmten Thema und Programm wären möglich. Hier sah man spontan Handlungsherausforderungen für die Kirche. Beim weiteren Nachdenken wurde aber deutlich: Die Kirche hat dafür ja nicht einfach so die Ressourcen. Und was noch wichtiger ist: Sie ist ja nur „ein Player unter vielen“, die ohnehin gute professionelle Arbeit machen. An dieser Stelle wurde der Gruppe deutlich, wie sinnvoll und wichtig Vernetzung und Kooperation aller derjenigen ist, die sich für Menschen in bestimmten Lebenslagen einsetzen – auch über „ideologische“ Unterschiede hinweg. Dass dies auch von Institutionen so gesehen wird, wurde in machen Gesprächen deutlich.

    Ein Interesse an und die Offenheit für Kooperation waren spürbar, z.B. im Gespräch mit der Christlichen Erwachsenenbildung Merzig (CEB), dem Sozialamt, der Caritas oder der Lebensberatung. Sogar bei dem atmosphärisch eher schwierigen Gespräch im Seniorenbeirat lassen sich Anknüpfungspunkte für Vernetzungen finden. In Kontakt mit den jeweils anderen Akteuren zu kommen, deren Arbeit und Mitarbeiter kennenzulernen und mögliche Schnittstellen auszuloten würde sicher auch manche Reserven gegenüber der Kirche vermindern.